Revision 62 vom 2011-10-14 08:45:14

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Überwachung (Lawful Interception)

Lawful interception (LI) ist das legale Mitschneiden von Internet- oder Telefonverkehr durch Polizei und Geheimdienste zum Zweck der Analyse und Beweiserlangung.

Standard durch ETSI

Die ETSI (European Telecommunications Standards Institute) ist eine europäische Behörde, welche für alle möglichen technischen Anwendungen im Bereich der Telekommuniaktion Standards festlegt. Für die Abhörschnittstelle der europäischen Sicherheitsbehörden legt die ETSI ebenfalls einheitliche Standards fest. Der Standard zum Abhören ist durch RFC 2804 IETF klassifiziert. Dieses wurde in einem EU-Ratspapier von 1995 vereinbart. Seit dem 1.1.2005 die müssen auch die Internet- und Emailanbieter die Überwachungs-infrastruktur, wie im Heise-Newsticker steht, bereitstellen.

Überwachungsmethoden

siehe Überwachungstechnik

Spezielle Aspekte der Telefonüberwachung

Die Sicherheitsbehörden nutzen einige Aspekte des Mobilfunks aus um weitere Daten zu erheben, wobei die juritische Korrektheit umstritten ist. Dazu gehört das Versenden von Stillen SMS und die Funkzellenüberwachung bzw Ausertung.

Stille SMS

Bei stillen SMS wird ausgenutzt, dass bei Mobilverbindungen die Funkzelle gespeichert wird (lokal wird auch der Timing Advance d.h. die Sendezeit zwischen Endgerät und Antenne gespeichert und somit die Entfernung zur Funkzelle gespeichert). Damit hinterlässt jede Nutzung eines Mobiltelefons eine Ortsangabe. Ohne Verbindungen hat das Netz nur die Location Area; deren Größe schwankt zwischen einigen Dutzend und einigen tausend Quadratkilometern. Bei aktiver Gewinnung von Ortsdaten weichen die Behörden daher auf stille SMS aus, welche künstlich umfassende Verbindungsdaten erzeugt.

Stille SMS sind laut einem Heise-Artikel von 2003 Kurzmitteilungen, welche die angeschriebenen Geräte nicht als normale Text-Nachrichten registrieren und deren Empfang sie dem Nutzer nicht wie üblich im Display melden; vielmehr quittieren sie den Empfang nur gegenüber dem Netz. So erzeugt die Polizei TK-Verkehrsdaten beim Mobilfunkprovider, die dieser wiederum laut Gesetz per Abhörschnittstelle zum Zwecke der Standortbestimmung auslesen und zur Verfügung stellen muss. Mit dem Hinweis auf "Gefahr im Verzug" müssen die Beamten nicht mal auf richterliche Erlaubnis warten. Es wird kann so ein Bewegungsprofil erstellt werden, obwohl auf Grund der Rechtslage nur Abhören erlaubt sein kann. Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der damals oppositionellen FDP von 2008 war die Bundesregierung allerdings der Meinung, dass Stille SMS im Zusammenhang mit einer Telekommunikationsüberwachung in den §§ 100a, § 100b StPO eine eindeutige Rechtsgrundlage finden würden.

Funkzellenauswertung

Ein weiterer spezieller Aspekt ist die Funkzellenauswertung bzw Funkzellenüberwachung. Nach Kriminalistik 05/2009 werden dabei die Daten von den lokalen Funkzellendatenbanken genutzt. Damit kann auch ermittelt werden, wer sich in der Funkzelle aufgehalten hat, ohne das Handy aktiv zu nutzen. Die Autorin vom BKA meint, die Funkzellenüberwachung sei rechtlich auch dann zulässlig, wenn davon auszugehen sei, dass der oder die Täter das Handy nur im Stand-By Betrieb bei sich gehabt hätten. Dem widerspricht in Kriminalistik 07/2009 ein Staatsanwalt. Danach wäre die Funkzellenauswertung nach §100g StPO rechtlich nur zulässig, wenn anzunehmen ist, das die Täter telefoniert hätte. Diese Meinung wird auch von Gerichten in Hamburg vertreten, die die Funkzellenauswertung laut Gulli vom April 2011 bei Auto-Brandstiftungen nicht genehmigt haben, da nicht davon auszugehen sei, dass die Täter telefonieren.

Quellen TKÜ

Bei der Quellen TKÜ wird ein Trojaner auf dem Computer des Opfers installiert um Internettelefonie (Skype) vor der Verschlüsselung aufzuzeichnen und dann an einen Server der Polizei weiterzuleiten. Die Quellen TKÜ wird rechtlich nach § 100a StPO sowie der verfahrensrechtliche Begleitnorm des § 100b StPO vorgenommen. Allerdings können diese Normen lediglich Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit (Art. 10 Abs. 1 GG) rechtfertigen, nicht aber in die Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (wie bei den verwendeten Trojanern der Firma Digitask möglich ist)– dies ergibt sich eindeutig aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung (vgl ijure.org. Da Skype in seinen Datenschutzbedingungen mitteilt, dass das Unternehmen Verkehrsdaten und Kommunikationsinhalte auf Aufforderung an die “zuständigen Behörden” übermittelt ist eine Quellen-TKÜ nach einem Blogeintrag des Anwaltes Thomas Stadler vermutlich unzulässig, weil ein Abgreifen von Gesprächsinhalten direkt bei Skype das mildere Mittel darstellt und die Quellen-TKÜ damit unverhältnismäßig wäre. Die Humanistische Union meint im Oktober 2011 gar, dass sämtliche Anordnungen und ihre Umsetzungen in der vom CCC bekannt gemachten Form einer Quellen-TKÜ nach rechtswidrig und strafbar seien.

Statistik zum Abhören

Schöne Daten gibts derzeit (2011) beim Bundesjustizamt. Für den Fall, dass sich das bewegen sollte, mal google nach "Die Telefonüberwachungsstatistik enthält die Anzahl der nach den Mitteilungen der Landesjustizverwaltungen" fragen. TODO: Den Kram mal auswerten und aufbereiten.

2003: Aus der Drucksache 15/4011 des Bundestages (S. 5) geht hervor: Für polizeiliche Überwachungsmaßnahmen (incl. Staatsschutz): Verwendung in 4276 Verfahren, bei denen 24501 Einzelanordnungen neu erlassen und 4937 verlängert wurden (2002: 26177 Anordnungen insgesamt). Betroffen waren 34317 Kennungen (2002: 30478). Der Löwenanteil davon (28314) waren Mobiltelefone. Betroffen waren 10439 Personen.

Aus dem Politbereich waren 19 Verfahren mit Abhören im Bereich Friedens- und Hochverrat, 115 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, und 260 Straftaten nach Ausländer- und Asylgesetz. Der größte Teil der Verfahren (2664) war im Bereich Betäubungsmittel (BTM).

Überwachungen durch Verfassungsschutz oder BND sind hier natürlich nicht enthalten.

Der LfD Ba-Wü spricht 2005 davon, die Zahl der überwachten Anschlüsse sei von 3730 im Jahr 1994 auf 19896 im Jahre 2001 gestiegen. Dabei habe es nur in 17% der Fälle mit Telefonüberwachung Ermittlungserfolge gegeben, die auf die Ursache der Überwachung bezogen waren.

Christiane Schulzki-Haddouti spricht von 31 Millionen abgehörten Gesprächen für 2002, diesmal in 3981 Anordnungen im Festnetz und 17888 Anordnungen im Mobilnetz. Diese Angaben müssen sich nicht ausschließen, da zu einer Maßnahme mehrere Anordnungen gehören können.

Zu 2005 gibt BT-Drucksache 16/3054 Auskunft: 4925 Verfahren mit 12606 Betroffenen, 49226 Kennungen (etwa +25% gegenüber 2004). Bei Mail Anstieg von 63 auf 279 (+342%), bei Internetzugängen von 92 auf 193 (+110%). Ein politischer Hintergrund dürfte bei etwa 300 (ca. 6%) zu vermuten sein.

Eine Vorstellung, wie sich die Zahl der Verfahren in Betroffene und Gespräche übersetzt, geben Zahlen aus Berlin: Dort hatte es 2008 157 Verfahren mit Lawful Interception gegegen, in deren Gefolge 1052 Anschlüsse von 511 Personen überwacht wurden. Ingesamt wurden 1.1 Millionen Telefonate abgehört. Die Zahl von 7000 Gesprächen pro Verfahren scheint etwas hoch, dürfte aber die Größenordnung treffen. Mit denen Zahlen von 2005 wären dann bundesweit mehr als 40000000 abgehörte Gespräche zu erwarten, was ganz gut zu Schulzki-Haddoutis Schätzung oben passt.

21. TB BfDI (2006) zählt die Anordnungen:

2003

24441

2004

29018

2005

35015

Statistik des BMJ zum Abhören

Statistiken vom BMJ zum Telefonabhören

Überwachung Internetkommunikation

Überwachte Dienste

  • IP

    • Email (die oben zitierte Bundestagsdrucksache gibt für Mailüberwachung 2003 144 Überwachungsanordnungen an, 2002 waren es noch 5)

    • HTTP

    • Instant_Messaging

    • IRC

Wohnraumüberwachung (Großer Lauschangriff)

Der "Große Lauschangriff" hat in der Repressionspraxis eine weitaus geringere Relevanz als die politische Aufmerksamkeit (verglichen mit anderen Repressionstechnologien) das vermuten lässt. Das BMJ berichtet für 2006 (nach dem etwas beschränkenden BVerfG-Beschluss) von 7 überwachten Objekten mit 27 Betroffenen. Bayern ist dabei effizient: 13 Tage abhören kostet dort 45.24, in NRW kosten 16 Tage rund 50000 Euro.

Zahlen von 2006/07 bietet BT-Drucksache 16/10300.

Videoüberwachung

siehe Videoüberwachung

Schutzmassnahmen