Revision 27 vom 2011-03-08 13:38:33

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VIS (Visa Informations System)

VIS soll eine Datenbank der EU werden, in der die Schengenstaaten Informationen über die von ihnen ausgestellten Visa austauschen, inklusive Fingerabdrücke der Antragsteller (Größenordnung: 20 Millionen Datensätze pro Jahr). KIm Jahre 2009 lief allerdings noch nichts. Anlässlich des Innenministertreffens im Dezember 2009 hieß es VIS sollte Dezember 2010 an den Start gehen (vgl Komissions-Mitteilung (pdf, S. 26). Dazu kam es dann doch nicht, denn im Februar 2010 plant die Kommission die "Fertigstellung" von VIS für den 24.06.2011 (lt. einer Mitteilung an die EU-Innenminister).

Rechtsgrundlage

Zweck von VIS

In einem Bericht der EU-Kommission an das EU-Parlament steht folgendes über VIS:

Nach den Attentaten vom 11. September 2001 beschlossen die Mitgliedstaaten, die Anwendung der gemeinsamen Visapolitik wirksamer zu gestalten, indem sie den Informationsaustausch über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt vereinheitlichten20. Die Aufhebung der Binnengrenzen hat es auch leichter gemacht, die Visasysteme der Mitgliedstaaten zu missbrauchen. Das Visa-Informationssystem (VIS) hat eine doppelte Funktion: Es dient der Umsetzung der gemeinsamen Visapolitik, indem es die Prüfung der Visumanträge und die Kontrollen an den Außengrenzen vereinfacht, und es dient dazu, Gefahren für die innere Sicherheit der Mitgliedstaaten vorzubeugen21. Das VIS wird ein zentralisiertes Informationssystem sein, das aus einem nationalen Teil in jedem beteiligten Staat sowie einer technischen Unterstützungseinheit in Frankreich besteht. Um die Zuverlässigkeit des Vergleichs der Fingerabdrücke zu gewährleisten und an den Außengrenzen die Identität von Visuminhabern zu überprüfen, nutzt das VIS ein System für den Abgleich biometrischer Daten. Es erstreckt sich auf Daten zu Visumanträgen, Fotografien, Fingerabdrücke, verbundene Beschlüsse von Visabehörden und Verbindungen zwischen miteinander verknüpften Anträgen. Die Visa-, Asyl-, Einwanderungs- und Grenzschutzbehörden werden Zugriff auf diese Datenbank haben, um die Identität von Visuminhabern und die Echtheit der Visa zu überprüfen. Die Polizei und Europol können die Daten zum Zweck der Bekämpfung des Terrorismus und anderer Formen schwerer Kriminalität einsehen. Die Akten über Asylanträge werden fünf Jahre lang aufbewahrt.

Quelle: Papier der EU-Komission (pdf)

Im Groben ist VIS also als umfassendes Repressionsinstrument gegen Menschen ohne EU-Pass angelegt (vgl Datenbanken gegen MigrantInnen).

Geschichte

Nach 9/11 wollte der Rat eine Verschärfung der durch den Schengen-Acquis vorgeschriebenen gegenseitigen Konsultation in Visafragen über ein "Netzwerk" namens VISION (vgl. Ratsmitteilung 5148/02). Dazu sollte eine Visa-Datenbank eingerichtet werden; genauere Pläne dafür wurden beim Sevilla-Gipfel 2002 geschmiedet, der Ratsbeschluss 2004/512/EC hat dann die VIS-Entwicklung in die Wege geleitet.

Nach diesem Beschluss soll sich VIS in seiner Struktur eng an SIS anlehnen. Näheres zu VIS folgte dann 2005 in der Beschlussvorlage 15142/05 Darin werden u.a. folgende Punkte festgehalten:

  1. Die Staatssicherheitsbehörden der Mitgliedsstaaten sollen auf jeden Fall Zugriff auf VIS haben.
  2. Europol soll Zugriff auf VIS haben.
  3. Aber natürlich nur, wenn sie Terrorismus schreiben können. VIS soll erstmal keine "regular crime fighting database" werden.

Zu diesem Zweck sollten Daten zu 20 Millionen Visa-Anträgen pro Jahr gespeichert werden, inklusive Fingerabdrücke. Bei einer Speicherfrist von fünf Jahren rechnete die Kommission mit 70 Millionen Fingerabdrucksätzen, die in VIS vorliegen sollen. Um das Nehmen von Fingerabdrücken mit dem Vorsatz "individuals whose data are processed in the VIS [...] are to be treated as innocent individuals and not as suspects in a criminal investigation" (15142/05, S. 6) zusammenzubringen, forderte der Rat die Mitgliedsstaaten auf, "to lay down effective, proportionate and dissuasive sanctions to be imposed in case of infringement of data protection provisions, including criminal sanctions for particularly serious and intentionally committed infringements," was durch einen jährlichen Audit unterstützt werden soll. Ob der Rat an diese Sorte Märchen glaubte, ist nicht überliefert.

Parallel wurde am so genannten Schengen Border Code (SBC) gearbeitet, der 2006 als EU-Verordnung 562/2006 verabschiedet wurde. Der SBC ist sozusagen das rechtliche Fundament für eine gemeinsame Grenzpolitik. Seit Verordnung 81/2009 hat die EU 2009 da auch die Verpflichtung reingeschrieben, VIS zu verwenden. Sie erlaubt aber, die Prüfung von Fingerabdrücken in der ersten drei Jahren von VIS mal kurz auszusetzen, wenn die Schlangen zu lang werden und sonst alles im grünen Bereich ist; vermutlich ist das die in Gesetzesform gegossene Erfahrung, dass solche Projekte, wenn sie überhaupt mal laufen, recht massive Kinderkrankheiten zeigen.

2008 verabschiedeten Rat und Parlament dann die Verordnung 767/2008, die die Rechtsgrundlage von VIS darstellt.

2009 wird beschlossen, VIS von der IT-Agentur betreiben zu lassen, die auch SIS betreiben soll.

Ende 2010 berichtet die Kommission ans EU-Parlament über die Ereignisse 2009 und ist immer noch optimistisch, den Kram 2010-12 an den Start zu kriegen. Offenbar hat die Entwicklung der nationalen Systeme gut geklappt, während beim Zentralen System, vor allem beim Biometrie-Matcher, Probleme auftraten. Insbesondere gingen Integrationstests schief, und zwar so drastisch, dass die Kommission Vertragsstrafen in Höhe von 7.6 ME verhängt hat.

Zur Sitzung der EU-Innenminister im Februar 2011 hat die Kommission die "Fertigstellung" von VIS für den 24.6.2011 (tatsächlich so genau) angekündigt.

VIS nach Verordnung

Zweck, Inhalt und Zugriffrechte von VIS sind in einer VIS-Verordnung geregelt.

Die Quelle VISV

VIS ist geregelt in Verordnung 767/2008 (ursprünglich: 562/2006); hier ist das als VISV abgekürzt.

Grundsätzliches zur VIS-Verordnung

Grundsätzlich folgt VIS in vielem SIS, insbesondere in der Struktur einer zentralen Datenbank, die national gespiegelt wird (VISV Art. 28). Allerdings scheint es, als sei bei VIS nur ein Übergabepunkt ("NI-VIS", national interface) definiert und die Systeme dahinter je nach Staat unterschiedlich (Art. 28 (4) VISV).

Hinter dem national interface sitzt eine nationale Kontaktstelle analog zu den SIRENEn. Offenbar waren die Erfahrungen mit Murks bei VISION so traumatisierend, dass Art. 26 (5) allerlei eigentlich selbstverständliche Forderungen an die nationalen Kontaktstellen formuliert ("back up and guarantee the continuous functioning").

VIS untersteht der EU-Kommission (Art. 26 VISV).

Art der Daten

Artikel 5 und 8-14 VISV regeln, welche Daten über die Menschen gespeichert werden sollen:

  • Eine Antragsnummer (aus dem Visumsantrag), ggf. Visumnummer
  • Statusinformation (Visum beantragt, erteilt, zuückgezogen, verweigert, verlängert)
  • Stelle, die den Antrag angenommen bzw. das Visum erteilt, verweigert oder zurückgezogen hat
  • ggf. EinladerIn: Name und Adresse

  • Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort (I)
  • Beruf, Arbeitsstelle (etwa auch: Schule, Uni bei SchülerInnen und Studis)

  • Bei Minderjährigen Namen der Mutter und des Vaters (I)
  • Nationalität, aktuell und bei der Geburt (I)
  • Ausweispapiere mit Details zu Ausstellung und Gültigkeit (I)
  • Visumtyp, Gebiet, für das das Visum gültig ist, Gültigkeit
  • Reiseziel und -zweck, geplante Aufenthaltsdauer, Einreisedatum, Ausreisedatum
  • Eintrittsort
  • Wohnort (I)
  • Fotografien (bereits bei der Antragstellung)
  • Fingerabdrücke (bereits bei Antragstellung!)
  • ggf. Verweigerungsgründe (z.B. gefälschte Papiere, Risiko illegaler Immigration, SIS-Ausschreibung, "Terrorliste" usf).

Diese Daten müssen von den Behörden, die Visa ausstellen, in VIS eingegeben werden, und zwar für alle Mitreisenden (VISV, Art. 8).

Zugriff

Zugriff haben sollen nach der EU-Komission die Visa, Asyl und Grenzkontrollbehörden der Länder. D.h in Deutschland dürften dieses die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration sein. Ob die europäische Grenzkontrollbehörde FRONTEX darauf Zugriff hat, ist nicht so klar.

Zugiff haben:

  • die Visumbehörden der Mitgliedsstaaten (VISV, Art. 6, wobei Art. 15 noch sagt, welche Felder suchbar sein sollen); wenn VIS mal läuft, wird eine Liste der berechtigten Behörden veröffentlicht.
  • die Grenzbehörden (Art. 18), die über Visumsnummer oder Fingerabdruck suchen und reglär Status, Fotos und Gültigkeitsdaten kriegen, aber Wunsch aber auch mehr.
  • Polizeien im Schengeninneren (Art. 19); sie werden im Wesentlichen wie Grenzbehörden behandelt, nur, dass nicht vorgeschrieben ist, dass sie drei Jahre nach VIS-Start über Fingerabdrücke zugreifen müssen.

  • Asylbehörden suchen auch über Fingerabdrücke oder, wenn "the search with the fingerprints fail", mit fast allem anderen. Sie sollen so rauskriegen, wo jemand eingereist ist und wer den "Fall an der Backe" hat (Art. 21), oder ob es einfache Gründe gibt, das Ayslverfahren gleich abzubrechen (Art. 22). Sie bekommen einfache Daten über eventuelle Visa zurück. Das ganze soll über die nationalen Zentralstellen laufen, es ist also offenbar erstmal nicht dran gedacht, dass die Asylbehörden direkten Zugriff auf VIS haben.
  • Staatssicherheitsbehörden und Europol, wie in Beschlussvorlage 15142/05 noch gefordert, sind erstmal nicht in der ursprünglich geplanten Form dabei; während viel noch von "innerer Sicherheit" abgedeckt ist, ist die alte "Schwerkriminalität" derzeit nicht abgedeckt.

Speicherfrist (ab letzter Änderung des Datensatzes) in VIS ist fünf Jahre (Art. 23); das ist keine Aussonderungsprüffrist, es muss also gelöscht werden. Ebenfalls gelöscht wird nach Einbürgerung (Art. 25).

VISV kennt umfangreiche Informationspflichten der Behörden gegenüber ihren Opfern (Art. 37: Information über Speicherung, ihren Zweck, das Auskunftsrecht usf). Das Auskunfts- und Berichtigungsrecht steht in Art. 38; merkwürdig ist die Regelung "Each Member State shall record any requests for such access." Was bedeutet das? Warum diese Regelung? An wen Auskunftsersuchen zu stellen sind, ist erstmal unklar, aber der BfDI wäre nach Art. 39 (2) wohl die erste Adresse. Er darf auch eine Kontrolle der Speicherungen aus der BRD vornehmen (Art. 41). Das ganze Ding hingegen soll nicht von einer JSB (wie bei SIS und Europol) begutachtet werden, sondern vom "European Data Protection Supervisor" (Art. 42).

Die Daten in VIS sollen zweckgebunden sein, können aber in andere Systeme kopiert werden (Art. 30), wenn diese den Zweck von VIS erfüllen. Angesichts von Zwecken wie "innere Sicherheit" dürfte das kein Hindernis sein. Auch an Drittstaaten können Daten übermittelt werden (Art. 31), allerdings nur die in der Liste oben mit I markierten Daten.

Zwecks der Datenschutzkontrolle sollen sämtliche Operationen an VIS mit Zweckbestimmung geloggt werden, also insbesondere auch Abfragen. Offenbar wollten die Gesetzesmacher dokumentieren, wie ernst sie es meinen (oder hatten wirklich keine Sorge, dass je wer nachguckt); jedenfalls sollen die Zugriffsprotokolle ein Jahr länger aufgehoben werden als die betreffenden Daten, was wohl die längste vorgeschriebene Speicherfrist für Log-Dateien überhaupt ist (Art. 34).

Die VISV ist insofern bemerkenswert, als Haftungsregeln in Art. 33 formuliert werden. Die sind zwar selbstverständlich und in der Regel ohnehin kaum einklagbar, aber es sieht doch gut aus. Art. 36 betont nochmal, dass Missbrauch von VIS strafbar sein muss. Schade, dass das Papier den Streicherteppich dazu nicht hergibt.

VIS wird physikalisch in Straßburg stehen, mit einem Backup in Sankt Johann im Pongau/Österreich (VISV Art. 27); das deckt sich mit den Plänen für SIS II.

Überarbeitung von VISV

Die VISV wurde bereits vor dem Start von VIS selbst überarbeitet. In der EU-Verordnung 2008/0041 (COD)

To Do: Was steht in der Überabeitung anderes ?

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