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+ Kram zur Freiwilligkeit
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=== Mangelnde Sorgfalt der Gerichte === Die Gerichte, die die Anträge der Staatsanwaltschaften überprüfen sollen (idR Amtsgerichte) sind die, die jeden Tag mit den Staatsanwält_innen über Einstellungen oder Urteile verhandeln. Schon angesichts daraus entstehender persönlicher Beziehungen ist eine gewissenhafte Überprüfung in dieser Konstellation erschwert. Dazu kommt, dass die Staatsanwaltschaften den Beschlüsse normalerweise vorformulieren und das nicht selten sogar bereits mit dem Briefkopf des Gerichts tun (so wird das z.B. für Dresden im <<Doclink(2011-LfDSachsen-funkzellen.pdf,Bericht des LfD zum Funkzellenskandal 2011)>> berichtet). Ein_e Richter_in muss damit nur unterschreiben, um den Antrag zu genehmigen, im Ablehnungsfall aber ernsthaft Arbeit investieren. Auch weil die überprüfenden Richter_innen auch noch anderes zu tun haben und sich eben nicht speziell um die Vertretbarkeit von Menschenrechtsverletzungen kümmern, ist kein böser Wille nötig, um aus diesem Verfahren eine Neigung zum Durchwinken abzuleiten. Die Erwartung kaum vorhandener Kontrolle bestätigt sich in empirischen Untersuchungen. Ein Klassiker ist hier "Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung." von Otto Backes/Christoph Gusy unter Mitarbeit von Meik Begemann, Siiri Doka und Anja Finke, erschienen als Peter Lang Verlag Frankfurt (Bielefelder Rechtsstudien Band 17). Eine [[http://hp.kairaven.de/miniwahr/telekom3.html|schöne Zusammenfassung dazu]] kommt von Kai Raven. Der wesentlichste Punkt dabei: Eine formal korrekte Anordnung zur Telefonüberwachung ''muss'' eingehen auf: * Die Katalogtat (aus §100b StPO), zu deren Aufklärung die Maßnahme beitragen soll, * tatsachenbezogene Ausführungen, warum gerade die abzuhörenden Anschlüsse zur Aufklärung beitragen können * die Verhältnismäßigkeit, d.h. insbesondere, warum weniger menschenrechtsverletzende Maßnahmen aussichtslos oder jedenfalls weniger erfolgversprechend sind Die Backes/Gusy-Untersuchung von 500 Beschlüssen aus dem Bereich der Telekommunikation fand, dass nur 21.1% der Anträge in diesem Sinn formal korrekt waren. 9.4% der Beschlüsse gingen auf keinen der genannten Punkte ein. Mithin hätte nur jede fünfte tatsächlich genehmigte Maßnahme überhaupt inhaltlich geprüft werden können. Dass auch dabei noch Einwände kommen können, illustrieren ganz schön die ablehnenden Beschlüsse, zu denen es dann und wann doch kommt (im Fall der Funkzellenabfrage auf [[TK-Verkehrsdaten#Rechtspraxis]] diskutiert). Auch die Prognose der Neigung zum Abzeichnen bestätigt sich. Backes/Gusy fanden, die Gerichte hätten staatsanwaltliche Vorlagen in 92.3% der Fälle voll, in 7.7% teilweise übernommen. Im Zusammenhang mit dem Abzeichnen besonders furchtbar ist eine BGH-Entscheidung von 1996 (StV 1996, 357f), nach der das Gericht keine Verpflichtung hat, sich inhaltlich mit einer Anordnung auseinanderzusetzen. Im Fall hatte ein Richter ein vorausgefülltes Formular nicht nur einfach unterschrieben, sondern auch noch ein Kreuz an einer offensichtlich falschen Stelle gemacht; es war damit klar, dass er den Inhalt des Antrags nach §100a nicht zur Kenntnis genommen hat. Der BGH lehnte ein Beweisverwertungsverbot dennoch ab. |
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=== Freiwilligkeitsklauseln === Einige Maßnahmen können auch ohne Gerichtsbeschluss vorgenommen werden, wenn die Betroffenen "freiwillig" zustimmen. Besonders drastisch ist das im Fall ds §81f StPO, der Genanalyse (siehe auch [[DAD#Gerichtsvorbehalt]]). Eigentlich hätte dem Gesetzgeber klar sein können, dass es während einer ED-Behandlung in der Gewalt der Polizei keine Freiwilligkeit geben kann; das Gesetz wurde aber dennoch so geschrieben. Die Ergebnisse überraschen nicht: Laut <<Doclink(2007-LfDBaWue-Bericht28.pdf|28. TB des LfD BaWü, 2007)>> (S. 29) werden um die 90% der Speicherungen "freiwillig" (also mit Einwilligung der Opfer) vorgenommen. [[http://www.datenschutz-bayern.de/tbs/tb21/k7.html#7.9|Kapitel 7.9 des 21. TB des LfD Bayern (2005)]] wird sogar noch etwas konkreter. Danach hatte die bayrische Polizei Verdächtige im Rauschgiftbereich zu 98% innerhalb von 15 Minuten zur freiwilligen Abgabe ihrer DNA "überredet". Der Rest bleibt der Fantasie überlassen. === Einfriedungsversuche === Angesichts der offensichtlichen Wertlosigkeit des Gerichtsvorbehalts hat das BVerfG in einer [[http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20090522_2bvr028709.html|Entscheidung vom 22.5.2009]] zwei Gerichte gerügt, die in der üblichen Manier einfach formal Anordnungen zur DNA-Analyse abgenickt haben. Di Fabio und Kollegen bestehen dort für jeden Einzelfall auf einer "Darlegung positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftaten, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind." Erhebet die Herzen. === Mehr dazu === * [[http://www.heise.de/tp/artikel/30/30020/1.html|Telepolis-Artikel "Euphemismus Hausdurchsuchung"]] von 2009 über Anordnungen zur Hausdurchsuchung * Roggan, F., Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Bonn: Pahl-Rugenstein 2003, beschäftigt sich in Abschnitt 3.3 ausführlich mit dem Gerichtsvorbehalt und schließt, er sei "in der Verfahrenspraxis also praktisch [eine] Farce". |
Gerichtsvorbehalt oder (vor der Strafrechts-Genderisierung) Richtervorbehalt bezeichnet eine Regelung, in der ein polizeilicher Eingriff in Bürgerrechte in irgendeiner Weise von einer/m Richter_in begutachtet werden muss. In aller Regel resultieren Gerichtsvorbehalte aus dem Bewusstsein der Autor_innen von Gesetzen, ihre Regelungen seien eigentlich grundrechtswidrig, gepaart mit der Entschlossenheit, sie doch durchzusetzen.
Das größte Problem am Gerichtsvorbehalt ist, dass er weitgehend wirkungslos ist.
Berühmte Eingiffsbefugnisse mit Gerichtsvorbehalt sind etwa:
- Abhören von Telefonen (§§100a/b StPO)
- Funkzellenabfrage (§§100g/h StPO)
- Hausdurchsuchung (§§102-110 StPO)
- Erstellung von DNA-Profilen (§§81e/f StPO)
Analoge Regelungen im Bereich der Gefahrenabwehr, wie sie sich immer mehr in Polizeigesetze der Länder eingeschlichen haben, haben manchmal einen Gerichtsvorbehalt, manchmal dürfen schon Polizeipräsident_innen Maßnahmen anordnen, die nach StPO einem Gerichtsvorbehalt unterliegen.
Wirkungslosigkeit
Aus einer ganzen Reihe von Gründen können Gerichtsvorbehalte Grundrechtsverletzungen durch Gesetze weder verhindern noch auch nur mildern:
- Mangelnde Sorgfalt der Gerichte
- Gefahr-im-Verzug-Regelungen
- Freiwilligkeitsklauseln
Mangelnde Sorgfalt der Gerichte
Die Gerichte, die die Anträge der Staatsanwaltschaften überprüfen sollen (idR Amtsgerichte) sind die, die jeden Tag mit den Staatsanwält_innen über Einstellungen oder Urteile verhandeln. Schon angesichts daraus entstehender persönlicher Beziehungen ist eine gewissenhafte Überprüfung in dieser Konstellation erschwert.
Dazu kommt, dass die Staatsanwaltschaften den Beschlüsse normalerweise vorformulieren und das nicht selten sogar bereits mit dem Briefkopf des Gerichts tun (so wird das z.B. für Dresden im Bericht des LfD zum Funkzellenskandal 2011 berichtet). Ein_e Richter_in muss damit nur unterschreiben, um den Antrag zu genehmigen, im Ablehnungsfall aber ernsthaft Arbeit investieren. Auch weil die überprüfenden Richter_innen auch noch anderes zu tun haben und sich eben nicht speziell um die Vertretbarkeit von Menschenrechtsverletzungen kümmern, ist kein böser Wille nötig, um aus diesem Verfahren eine Neigung zum Durchwinken abzuleiten.
Die Erwartung kaum vorhandener Kontrolle bestätigt sich in empirischen Untersuchungen.
Ein Klassiker ist hier "Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung." von Otto Backes/Christoph Gusy unter Mitarbeit von Meik Begemann, Siiri Doka und Anja Finke, erschienen als Peter Lang Verlag Frankfurt (Bielefelder Rechtsstudien Band 17). Eine schöne Zusammenfassung dazu kommt von Kai Raven. Der wesentlichste Punkt dabei: Eine formal korrekte Anordnung zur Telefonüberwachung muss eingehen auf:
- Die Katalogtat (aus §100b StPO), zu deren Aufklärung die Maßnahme beitragen soll,
- tatsachenbezogene Ausführungen, warum gerade die abzuhörenden Anschlüsse zur Aufklärung beitragen können
- die Verhältnismäßigkeit, d.h. insbesondere, warum weniger menschenrechtsverletzende Maßnahmen aussichtslos oder jedenfalls weniger erfolgversprechend sind
Die Backes/Gusy-Untersuchung von 500 Beschlüssen aus dem Bereich der Telekommunikation fand, dass nur 21.1% der Anträge in diesem Sinn formal korrekt waren. 9.4% der Beschlüsse gingen auf keinen der genannten Punkte ein. Mithin hätte nur jede fünfte tatsächlich genehmigte Maßnahme überhaupt inhaltlich geprüft werden können. Dass auch dabei noch Einwände kommen können, illustrieren ganz schön die ablehnenden Beschlüsse, zu denen es dann und wann doch kommt (im Fall der Funkzellenabfrage auf TK-Verkehrsdaten#Rechtspraxis diskutiert).
Auch die Prognose der Neigung zum Abzeichnen bestätigt sich. Backes/Gusy fanden, die Gerichte hätten staatsanwaltliche Vorlagen in 92.3% der Fälle voll, in 7.7% teilweise übernommen.
Im Zusammenhang mit dem Abzeichnen besonders furchtbar ist eine BGH-Entscheidung von 1996 (StV 1996, 357f), nach der das Gericht keine Verpflichtung hat, sich inhaltlich mit einer Anordnung auseinanderzusetzen. Im Fall hatte ein Richter ein vorausgefülltes Formular nicht nur einfach unterschrieben, sondern auch noch ein Kreuz an einer offensichtlich falschen Stelle gemacht; es war damit klar, dass er den Inhalt des Antrags nach §100a nicht zur Kenntnis genommen hat. Der BGH lehnte ein Beweisverwertungsverbot dennoch ab.
Gefahr-im-Verzug-Klauseln
Fast alle Gerichtsvorbehalte sind durch eine Gefahr-im-Verzug-Klausel weiter relativiert, die der Polizei einen Einsatz der fragwürdigen Mittel aus eigener Machtvollkommenheit (bzw. nach Anordnung der Staatsanwaltschaft) erlaubt. Zwar gibt es im Nachhinein Möglichkeiten zum Rechtsschutz, doch da ernsthafte Konsequenzen über ein Beweisverwertungsverbot für den (nicht unüblichen) Fall einer nachträglichen Missbilligung der Maßnahme nicht üblich sind, ist Gefahr-im-Verzug in Summe billig und wird insbesondere bei Hausdurchsuchungen breit eingesetzt.
Freiwilligkeitsklauseln
Einige Maßnahmen können auch ohne Gerichtsbeschluss vorgenommen werden, wenn die Betroffenen "freiwillig" zustimmen. Besonders drastisch ist das im Fall ds §81f StPO, der Genanalyse (siehe auch DAD#Gerichtsvorbehalt). Eigentlich hätte dem Gesetzgeber klar sein können, dass es während einer ED-Behandlung in der Gewalt der Polizei keine Freiwilligkeit geben kann; das Gesetz wurde aber dennoch so geschrieben. Die Ergebnisse überraschen nicht: Laut <<Doclink: Ausführung fehlgeschlagen [Filename 2007-LfDBaWue-Bericht28.pdf|28. TB des LfD BaWü does not match allowed pattern.] (siehe auch die Log-Datei)>> (S. 29) werden um die 90% der Speicherungen "freiwillig" (also mit Einwilligung der Opfer) vorgenommen.
Kapitel 7.9 des 21. TB des LfD Bayern (2005) wird sogar noch etwas konkreter. Danach hatte die bayrische Polizei Verdächtige im Rauschgiftbereich zu 98% innerhalb von 15 Minuten zur freiwilligen Abgabe ihrer DNA "überredet". Der Rest bleibt der Fantasie überlassen.
Einfriedungsversuche
Angesichts der offensichtlichen Wertlosigkeit des Gerichtsvorbehalts hat das BVerfG in einer Entscheidung vom 22.5.2009 zwei Gerichte gerügt, die in der üblichen Manier einfach formal Anordnungen zur DNA-Analyse abgenickt haben. Di Fabio und Kollegen bestehen dort für jeden Einzelfall auf einer "Darlegung positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftaten, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind." Erhebet die Herzen.
Mehr dazu
Telepolis-Artikel "Euphemismus Hausdurchsuchung" von 2009 über Anordnungen zur Hausdurchsuchung
- Roggan, F., Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Bonn: Pahl-Rugenstein 2003, beschäftigt sich in Abschnitt 3.3 ausführlich mit dem Gerichtsvorbehalt und schließt, er sei "in der Verfahrenspraxis also praktisch [eine] Farce".