Revision 8 vom 2009-02-09 21:12:06

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Rechtsgrundlagen

"Daten sind zu löschen, wenn ihre Speicherung unrechtmäßig ist" -- diese in §498 StPO, den meisten einschlägigen Landesgesetzen und vielen Urteilen zu lesende Sentenz könnte eigentlich reichen, wenn das mit dem "unrechtmäßig" nicht so kompliziert wäre.

Einschlägig hier sind zunächst die alten Prinzipien des Datenschutzes, Datensparsamkeit und Zweckbindung. Die Polizei braucht einen Grund zur Speicherung, und sie darf die Gründe nicht einfach nach Gusto ändern.

Leider hat sie ein Totschlagargument, nämlich die Prävention. Idee ist, zu behaupten, die in Rede stehenden Daten könnten in Zukunft für die Aufklärung von Verbrechen oder auch ihre Prävention wichtig werden. Dieser Zweck ist nun so ohne weiteres für kein Datum zu bestreiten, und so eiern die Gerichte seit Jahrzehnten um die Frage, wo die Grenzen sind.

Konsens besteht mittlerweile, dass es irgendeine Sorte von Negativprognose geben muss. Dass es sich die Behörden damit häufig zu leicht machen, zeigt das Verfassungsgerichtsurteil 1 BvR 2293/03 von 2006, das auf einer "sorgfältigen und nicht formelhaften Prüfung" besteht. Das ist eine gute Nachricht für den Bereich der politischen Justiz, denn formelhaft ist ja eigentlich klar, dass Zecken Zecken bleiben und nur auf die nächste Gelegenheit zum Umsturz warten.

In dem Sinn ist das im Politbereich ähnlich wie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. In diesem Bereich hat das Verfassungsgericht 2002 angedeutet (indem es nämlich nicht weiter beschließen wollte), dass selbst nach einem Freispruch weitergespeichert werden darf, denn die Speicherung eines Verdachts sei etwas ganz anderes als eine Bestrafung, die durch den Freispruch abgelehnt worden sei.

Einstellungen

In der politischen Repression ist der Einsatz von oft hanebüchenen Ermittlungsverfahren nicht selten beliebt als informelles und außergesetzliches Bestrafungsinstrument der Polizei. Da ja die Einleitung eines dann oft peinlich endenden Gerichtsverfahren gar nicht angestrebt wird, ist die Einstellung von Verfahren, in dem Fall nach §170(2) StPO (Ermittlungen bieten keinen genügenden Anlass zur Klageerhebung) Regel und nicht Ausnahme (von dieser Einstellung werden die Betroffenen übrigens in der Regel nicht informiert, wenn sie vom Ermittlungsverfahren nichts wussten).

Nach der Einstellung eines Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens muss die Polizei anhand des Urteils prüfen, ob ein Tatvorwurf zu löschen ist und darf nur weiterspeichern, wenn ein "Verdacht übrig bleibt" und/oder tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der/die Betroffene künftig eine Straftat begehen wird.

Die Polizei geht dabei in der Regel viel zu restriktiv vor und speichert mehr als sie dürfte. Ein Fall dieser Art ist im [http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/tb/2005/tb-2.htm 2005er-Bericht des LfD Ba-Wü] unter 4.2 beschrieben. Grundsätzlich gilt: Eine Einstellung wegen mangelnden Tatverdachts legt sehr nahe, dass gelöscht werden muss.

[http://www.datenschutz.hessen.de/_old_content/tb23/k31p1.htm Ein Grundsatzpapier] dazu wurde 1994 von den LfDs und dem BfD erarbeitet.

Wir bereiten derzeit einen Artikel für die RHZ vor, der das Thema etwas breiter behandelt.

Urteile

  • [http://lexetius.com/2003,3593 BVerwG, Urteil vom 22.10.2003 - 6 C 3. 03] -- das BKA darf auch bei Einstellungen nach 170(2) StPO weiterspeichern.

  • [http://lexetius.com/2006,1573 BVerfG, Beschluss vom 1.6.2006 - 1 BvR 2293/03] -- bei Weiterspeicherung nach 170(2)-Einstellung (in dem Fall von ED-Daten) muss in jedem Fall eine sorgfältige und nicht formelhafte Prüfung stattfinden; das gilt nach VG München 17. Kammer, M 17 K 92.1368 (Urtiel vom 24.02.1994) sogar in Bayern.

  • Hessischer Verwaltungsgerichtshof 10. Senat, 10 UE 4135/98, Urteil vom 23.04.2002 -- das BKA muss nach einem Freispruch löschen, und auch, wenn das Verfahren "nicht nur vorläufig" eingestellt ist. Bei 170(2)-Einstellungen muss die Staatsanwaltschaft explizit sagen, inwieweit Restverdacht besteht, obwohl sie einstellt, wenn die Polizei speichern will. Bei Einstellung kommt weiterspeicherung überhaupt nur in Frage, wenn ein Restverdacht bleibt, Schuldausschießungsgründe vorliegen oder Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen.
  • VG Frankfurt 5. Kammer, 5 E 1632/96 (3), Urteil vom 28.11.1996 -- der Klassiker jedenfalls im Hinblick auf Hessen und von DatenschützerInnen gern zitiert: Nach 170(2) eingestellte Geschichten dürfen "allenfalls ausnahmsweise und dann auch nur unter strengen Voraussetzungen" gespeichert werden. Mit 153a-Einstellungen ist das viel einfacher.

  • [http://lexetius.com/2002,798 BVerfG, Beschluss vom 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 ] -- selbst nach einem Freispruch kann weitergespeichert werden

  • VG Meiningen 2. Kammer, 2 K 191/07 Me -- BTM-Geschichte und Schneeballwurf (beide eingestellt nach 170(2)) sind zu löschen, weil Vergehen zu geringfügig und außerdem zu lange her, um eine Negativprognose zu rechtfertigen.
  • OLG Frankfurt 3. Strafsenat, 3 VAs 47 - 48/07, 3 VAs 47/07, 3 VAs 48/07, Beschluss vom 17.01.2008 -- Einstellung nach 170, "Tatverdacht ausgeräumt"; das Gericht eiert herum, sagt aber immerhin, dass "Archivierung" kein ausreichender Zweck für die Speicherung "Straftat gegen sexuelle Selbstbestimmung" sei. Der Zweck selbst wird irrerweise im Hinblick auf eine Online-Speicherung nicht bestritten.
  • KG Berlin 4. Strafsenat, 1552 E GSTA 3/99 - 4 VAs 10/99, 1552 E GStA 3/99, 4 VAs 10/99, Beschluss vom 06.08.1999 -- die Staatsanwaltschaft muss bei Einstellung sogar weiter speichern (vgl. ["ZStV"]), da die Akten bis zum Ende der Verjährungsfrist aufgehoben werden müssen. Dieser Unsinn (für den Nachweis tuts ja nun wirklich ein Zettelkasten) wurde inzwischen von mehreren Gerichten bestätigt.
  • OLG Dresden 2. Strafsenat, 2 VAs 4/02, 2 VAs 0004/02, Beschluss vom 19.05.2003 -- bei all dem muss die StA aber doch auf die informationelle Selbstbestimmung denken und im Einzelfall den Speicherzweck nachweisen (das Gericht verdonnert die StA aber nur zur Prüfung, nicht zur Löschung).
  • VGH Baden-Württemberg 1. Senat, 1 S 2054/00, Beschluss vom 20.02.2001 -- Einstellungen mit Verweis auf eine Privatklage begründen auch keinen Löschungsanspruch, vor allem dann nicht, wenn das Opfer der Speicherung des Öfteren "in Erscheinung getreten" ist.
  • BVerwG 1. Senat, 1 C 14/95, Urteil vom 09.09.1998 -- es besteht ein Anspruch auf die Bestätigung der Löschung von Daten (was allerdings ziemlich für die Füße ist, weil ja ein weiteres Auskunftsersuchen ohnehin Klarheit bringen könnte).
  • VG Frankfurt 5. Kammer, 5 G 1630/96 (3), Urteil vom 27.08.1996 -- wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Speicherung bestehen (und das ist bei 170(2)-Einstellungen nach Meinung etlicher Gerichte der Regelfall), kann die Sperrung der Daten bis zur endgültigen Klärung in Frage kommen.