Revision 14 vom 2011-01-20 12:57:59

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Irre Geschichten, Geschichten aus dem Orwell-Universum

Viele Horrorgeschichten finden sich auf den Seiten zu einzelnen Datenbanken. Hier nur ein paar Geschichten, die nicht recht auf einzelne Seiten passen wollen.

Manche sind gleicher

29. TB LfD BaWü, 2.1, 2.2.3: Zwei Studis, zwei Cops. Cops nehmen einen Studi mit, hindern den anderen daran, das zu filmen. Der festgenommene Studi wird wegen Beleidigung verklagt, ein Polizist wegen Nötigung. Beide werden rechtskräftig verwarnt. Der Polzist kriegt keine Speicherung, der Studi schon, aber nicht etwa wegen Beleidigung, sondern wegen Widerstand, Speicherfrist fünf Jahre.

Dass der Polizist der Speicherung entging, ist nicht untypisch. 29. TB LfD BaWü, 2.1, 2.2.4 berichtet, von 415 vom Innenministerium ausgwählten Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte in BaWü zwischen 2006 und 2008 führten 275 nicht zu einer POLAS-Speicherung, wobei nur 61 davon irgendwas wie "kein Tatverdacht" ergaben.

Dieses Muster lässt sich noch mit dem Stereotyp der Polizei als Männerverein kombinieren; wiederum 29. TB LfD BaWü, 2.1, 2.2.4 bietet noch die Story eines Polizisten, der seine Dienstgruppenführerin sexuell belästigt hatte. Ein Ermittlungsverfahren wurde gegen eine Geldbuße eingestellt, es gab auch ein Disziplinarverfahren. Eine Speicherung all dessen erfolgte nicht, weil, so der Dienstellenleiter laut LfD, dem betreffenden "sein Fehlverhalten deutlich gemacht" worden sei und mithin keine Wiederholungsgefahr bestehe. Außerdem, jetzt festhalten, habe "die Beamtin die Annäherungsversuche nicht von Anfang an entschieden und deutlich zurückgewiesen" (nach LfD).

Wie der LfD a.a.O. so schön sagt: So viel Sorgfalt bei der Prüfung der Speichernotwendigkeit wünscht mensch sich sonst auch.

Risiken und Nebenwirkungen

Im 28. TB LfD BaWü (2007 wird die Geschichte von A, einem Azubi bei einer Stadt in Baden-Württemberg, erzählt. Er möchte das "Karlsruher Verfassungsgespräch" besuchen, eine Veranstaltung des Bundesverfassungsgerichts, zu der mensch sich unter Vorlage des Personalausweises anmelden muss. Die Bundespolizei gleicht diese Daten mit INPOL ab, was einen Datensatz liefert, weshalb sie sich an die Behörden von BaWü wendet und von dort weitere Treffer aus POLAS-BW bekommt -- sämtlich eingestellte Ermittlungsverfahren.

Der heftigste Vorwurf war der einer versuchten schweren Körperverletzung sechs Jahre zuvor. A hatte, kaum 18, eine Tüte Altpapier auf den Hof geworfen. Diese war neben einer Nachbarin gelandet, mit der A ohnehin im Streit lag, und diese hatte daraufhin Absicht unterstellt und A angezeigt.

Dieser Ablauf war so nicht aus der Datenbank zu ersehen, und so äußerte die Bundespolizei in einem Gespräch mit der Stadt "Sicherheitsbedenken" gegen A. Einer der städtischen Mitarbeiter glaubt sich zu erinnern, A als städtischen Beschäftigten zu kennen und verifiziert das mit der Personalabteilung, gegenüber der er erwähnt, die Bundespolizei habe Sicherheitsbedenken geäußert.

Die Bundespolizei zieht die Bedenken zwar zurück, doch jetzt lädt das Personalamt A vor und lehnt schließlich die Weiterbeschäftigung von A ab, weil er angesichts der Sicherheitsbedenken nicht als künftiger Beamter tragbar ist.

Löcher

Auch aufrechte Staatsbürger, die glauben, die Polizei werde schon nichts Unrechtes mit ihren Daten tun und alles sei gut, solange sie Rechtes tue, könnten ins Schlummern kommen angesichts der Geschichte, in der ein Studi bei eBay eine Platte ersteigert, etwas undelete macht und, schwupps, megabyteweise Daten der Polizei in der Hand hat. Wer mehr Details hat als auf S. 57f des TB 2004/05 des LfD Brandenburg, möge sie hier ergänzen.

Erfundene Vorwürfe

Ein irrer Raser drängelt auf der Autobahn wie Sau und zeigt den vor ihm fahrenden schließlich wegen Nötigung an, weil er die linke Spur nicht schnell genug freigegeben hat. Die bayrische Polizei legte noch einen drauf und speicherte den Angezeigten unter der Rubrik "Nötigung und Gefährdung des Straenverkehrs -- infolge Alkohol", obwohl es überhaupt keine Anzeichen für irgendeine Rolle von Alkohol gab. Später wanderte der Betroffene aus, und die Polizei hatte nichts besseres zu tun, als die Daten an das Gastland weiterzugeben. In einem netten Gespräch mit dessen Behörden durfte er sich dann peinliche Fragen nach seinem Verhältnis zu Fahren im Suff anhören... (21. TB LfD Bayern, Kap. 7)

Geschäftspartner auschecken

Im Rahmen des Skandals um den Freizeitpark am Nürburgring tritt ein ehemaliger Polizist von seinem Landtagsmandat zurück, weil er eine ehemalige Kollegin dazu gebracht haben soll, "Geschäftspartner" in POLIS-RP auszuchecken.

Das ganze erinnert ein eine Geschichte aus Mannheim -- nur, dass bei der Nürburggeschichte wirklich alle Beteiligten exakt das Klischee eines mafiösen Staatssicherheitsstaats erfüllen.

Von ähnlicher Neugier erzählt der LfD Bayern im 21. TB, 7.19 (2005): Ein Polizeibeamter fragte da die Meldeamts-Daten einer Mieterin ab, ein anderer hat eine Mieterin bei ZEVIS ausgecheckt, weil sie ihn wegen irgendwas verklagt hatte und er mit Hinweisen auf irgendwelche Fahrzeuge ihren Antrag auf Prozesskostenbeihilfe angreifen wollte. Eine weitere ZEVIS-Anfrage hatte ein anderer Beamter vorgenommen, und zwar quasi als kleinen Dienst für einen Freund, dem er dann mitteilen konnte, wo das Kfz einer Bekannten angemeldet war. Warum der Freund das wissen wollte, ist nicht überliefert...

Erleichtert werden solche Nachforschungen durch den Umstand, dass Abfragen in vielen Datenbanken -- so auch POLIS-BW -- nur stichprobenweise protokolliert werden. So bedauert der LfD BaWü in seinem 25. TB (2004), 2.1/4.1, er habe im im Nachhinein nicht klären können, ob der Umstand, dass eine Trunkenheitsfahrt einer geschiedenen Frau drei Tage nach der Tat in den Unterlagen ihres Sorgerechtsprozesses auftauchte, mit dem Umstand zusammenhing, dass ihr geschiedener Mann neben einem (mit der Sache nicht weiter befassten) Polizisten wohnte.

Peinliche Durchsuchungen

Ein Mann war verdächtig, als Türsteher einer Disko an einer Schlägerei teilgenommen zu haben; die Ermittlungen haben schnell ergeben, dass er es nicht gewesen sein kann. Trotz Einstellung nach 170(2) blieb er gespeichert. Später hat ihn eine Zivilstreife angehalten und nach Datenlage durchsucht -- vor den Augen des Chefs. (21. TB LfD Bayern, Kap. 7)

Begehrlichkeiten

Wenn Daten erstmal da sind, kommen immer mehr Leute drauf, dass sie sie kennen wollen. Der Appetit kommt beim Essen, weshalb auch die üblichen Beschwichtigungen des Typs "...werden aber ausschließlich genutzt für" wertlos sind.

Der Klassiker sind hier "Sicherheitsüberprüfungen" von Unternehmen, die schwarze Sherrifs einstellen. In Sachsen bekamen sie eine Weile gleich automatisch Auszüge aus den dortigen Polizeidatenbanken, was der dortige LfD natürlich abstellte. Daraufhin gingen die Unternehmen dazu über, BewerberInnen nur dann einzustellen, wenn sie ein Auskunftsersuchen unterschrieben. Darüber berichtet etwa der LfD Hessen in seinem 35. TB (2006), S. 74. Sein Urteil, "dass der Betroffene im Rahmen einer Selbstauskunft gezwungen wird, seinem künftigen Arbeitgeber solche Informationen zu offenbaren, widerspricht dem datenschutzrechtlichen Grundgedanken, der dem Informationsrecht zugrunde liegt." Leider wäre der einzige Weg, sowas abzustellen, die polizeiliche Datensammlung einzustellen.

Leider hilft aber gar nicht, denn bereits 2007 musste der LfD BaWü in seinem 28. TB, 1.2.1.5, festestellen, dass diese Sorte illegalen Tuns "Standard" geworden sei: Ordner und Helfer bei Radweltmeisterschaft in Stuttgart 2007, Hotelpersonal bei Ratstagungen während der EU-Präsidentschaft der BRD. Bereits seit Oktober 2004 Routinechecks beim Fremdpersonal bei der Bundesbank in Stuttgart. Andere LKAen haben allerdings abgelehnt, nicht jedoch das in Berlin (30. TB LfD Berlin, 2/3.1.7), was der rot-rote Senat irrerweise auch noch ok findet, absurderweise unter Hinweis auf die Freiwilligkeit -- was von dieser zu halten ist sollte der LfD etwa aus den bayrischen Erfahrungen mit der DAD wissen.

Aber die Polizei macht natürlich selbst solche Sachen: Im 29. TB, 2.1, 2.2.2 berichtet der LfD BaWü, dass die Polizei seines Landes von RechtreferendarInnen, die bai ihr hospitieren wollen, die Einwilligung in eine datenbankgestützte Überprüfung verlangt hat. Klar hat auch hier der LfD interveniert, aber wenn die Daten halt erstmal da sind...

Breite Datenschleuderei

Wie Auskünfte so laufen (auch wenn es in dem Fall noch um Karteikarten geht), berichtet der BW LfD 1997. Im Groben hat der Staatsschutz auf eine Anfrage im Zusammenhang mit einer Anti-Abschiebungsdemo in Hessen nicht nur an die anfragende Stelle, sondern auch an die hessischen und baden-württembergischen LKAs geantwortet, die betreffende habe mehrmals an Pershing-Sitzblockaden in den 80en teilgenommen. Dies, obwohl die betreffenden Daten längst hätten gelöscht sein müssen und es (durch Streichung) auch waren -- und die Speicherung nach dem Mutlangen-Urteil ohnehin höchst fragwürdig gewesen wäre.

Kleine Auskünfte unter Freunden

Ebenfalls im 97er-Bericht des BW LfD wird die Geschichte einer Frau erzählt, die bei der Reorganisation einer Behörde die Arschkarte zog und dann auch noch sicherheitsüberprüft wurde. Hintergrund: Ein Staatsschutz-Mitarbeiter hatte privaten Kontakt zu einem Kollegen der Frau und hat durchblicken lassen, sie sei als (ehemaliges) Mitglied der autonomen Szene bekannt, der Kollege ist zum Chef gelaufen. All das (inkl. Sicherheitsüberprüfung) war natürlich illegal.

Strafaktionen

Nachdem sich der LfD Schleswig-Holstein (dort als unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz, ULD, organisiert) kritisch über ein neues Polizeigesetz geäußert hat, bekam es zwei Mal Besuch vom Landesrechnungshof. Die Ergebnisse waren absehbar: Der Rechnungshof empfahl Personalabbau und Einschränkung der Kompetenzen. Das ist zwar nur indirekt datenbankbezogen, aber trotzdem nicht überraschend