Unterschiede zwischen den Revisionen 6 und 7
Revision 6 vom 2016-05-23 20:36:40
Größe: 7009
Autor: anonym
Kommentar: (eKA sammelt Material für negative Prognose, die das Gericht zur Anordnung einer DNA-Analyse haben will)
Revision 7 vom 2018-05-15 08:19:00
Größe: 38
Autor: LilaBlume
Kommentar:
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Die Strafprozessordnung erwähnt an vielen Stellen "Akten"; der
Gesetzgeber hat dabei an Konvolute von Papier und vielleicht noch
Tonbänder gedacht, die all die Beweismittel sammeln, mit denen die
Polizei ihren Fall machen möchte. Wir sprechen dabei hier von

 * "Kriminalakte", sofern diese Sammlungen direkt auf Personen bezogen sind, ohne dass die Polizei einen Fall hätte,
 * "Ermittlungsakte", sofern die Polizei einen Fall gemacht hat, und
 * "Prozessakte", sofern ein Gerichtsverfahren eingeleitet wurde.

Die Dokumententypen gehen normalerweise auseinander hervor. Rechtlich
werden sie nur in Ausnahmefällen unterschiedlich behandelt. Da aus
Bürgerrechtssicht die Kiminalakte am wehsten tut -- die Polizei legt sie
nach Gutdünken an über wen sie will, und sie ist im Vergleich zu
Prozessakten praktisch Eigentum des "tiefen Staats" -- reden wir hier vor
allem über sie (als "eKA").

Diese Dokumente unterliegen ''nicht'' dem Auskunftsrecht des
Datenschutzes, solange sie analog geführt werden; die
Strafprozessordnung regelt demgegenüber ein (ziemlich windelweiches)
Einsichtsrecht in Prozessakten für Anwält_innen (und §147 (7) potenziell
auch für das Opfer), das allerdings erst greift, wenn das Material bei
Gericht gelandet ist. Weitere Einsichtsmöglichkeiten existieren, sind
aber in jedem Fall sehr aufwändig und bedürfen fast immer anwaltlichen
Beistands.

Da nun die Beweismittel von Anzeigen über Fotos, Abhörprotokolle und
Verhörmitschnitte bis hin zu Verbindungsdaten inzwischen fast alle
digital vorliegen und bereits in [[Vorgangsverwaltung]]en und
[[Fallbearbeitung]]en liegen, liegt es natürlich nicht fern, die
komplette Kriminalakte digital zu führen; sie wird dann sozusagen ein
Archivierungs- und Organisationsaufsatz auf VVen und FBSen.

== Systeme ==

Gerne eingesetzt generell zur Führung von elektronischen Akten in der
öffenlichen Verwaltung wird die
[[http://www.egov-suite.com/sitemap.html|eGov-Suite]] der
österreichischen Firma Fabasoft, die zumindest in Bayern auch bei der
Polizei läuft.

Ein
[[http://www.egovernment-computing.de/fachanwendungen/articles/308976/|PR-Artikel von 2011]]
berichtet darüber. Die Einphasung und die Migration der Dokumente sei
im Rahmen eines Projekts "Elektronisches Kriminalaktenarchiv“ (EKAA)
ab Juni 2005 erfolgt. Ein Prototyp 2006 hatte dann schon eine
"Anbindung" an die bayrische Vorgangsverwaltung IGVP sowie an die
Scan-Standardsoftware
[[http://www.kofax.com/document-capture-software/|Kofax Capture]]. Das
System soll seit November 2008 aktiv sein und die Daten aus der alten
Dokumentenverwaltung ("DokV") komplett enthalten. 2011 sollen 80000 von
insgesamt 420000 bestehenden Kriminalakten in das System übernommen
worden sein. Die Planung damals war, das System allen 30000 bayrischen
Polizist_innen zur Verfügung zu stellen; über Zugriffskontrolle oder
Recherchemöglichkeiten redet das PR-Stück nicht.

Politisch interessant ist die Einführung der elektronischen Kriminalakte
in Niedersachsen. Dort hatte um 2006 herum Fabasoft wie in Bayern einen Coup
gelandet
([[http://www.egovernment-computing.de/projekte/articles/147500/|PR-Stück von 2007]])
und hätte für "alle geeigneten Dienststellen des Landes" (also weit über
die Polizei hinaus) das Dokumentenmanagement übernehmen sollen. Die
gegenüber Bayern nötigen Anpassungen ("Bildung von Geschäftszeichen
sowie [...] Arbeitsschritte im Workflowprozess") lassen ahnen, welche
Probleme solche Systeme lösen sollen.

Die Mc``Allister-Regierung wollte dann nach einem
[[http://www.egovernment-computing.de/fachanwendungen/articles/388656/|PR-Stück von 2012]]
Fabasoft nach einer fünfjährigen Pilotphase rauskegeln und das
Dokumentenmanagement einem Hack auf der Basis von Microsoft Sharepoint
(Share.Docs von PDV-Systeme aus Erfurt) machen. So oder so hat die
Microsoft-Lobby offenbar in der folgenden Regierung Weil wieder an Boden
verloren, denn 2013 verlängert diese die Zusammenarbeit mit Fabasoft.
Ausgerechnet das Justizministerium hängt jedoch weiter an Sharepoint;
wenn dieser Beschluss auch für die Staatsanwaltschaften gelten sollte,
ist das für die Polizei bestimmt unterhaltsam.

2011 baute die Bundespolizei ein eKA-System auf; mehr unter
[[Datenbanken der Bundespolizei#Elektronische_Kriminalakte]].
Im Bezug auf diese Arbeiten benennt der BfDI in seinem
[[https://www.datenschmutz.de/li/docs/2011-BfDI-TB23.pdf|23. TB (2011)]]
(S. 90f) ein Grundproblem der eKAen überall: Es werden nämlich bereits
Nachweis- und Analysesystem betrieben, "deren Aufgaben und Zwecke
sich zum Teil mit denen der eKA überschneiden. Dies kann zu
Mehrfachspeicherungen personenbezogener Daten führen." Der BfDI regt
an, diese anderen Datenbestände zu löschen. Andererseits hat er auch
keinen Vorschlag, "wie Missbrauch vermieden werden kann, wenn nun sehr
viel mehr Bundespolizisten mit einem Mausklick und einigen zusätzlichen
Angaben Zugriff auf fast alle in der elektronischen Kriminalakte
enthaltenen Daten erhalten."

In Schleswig-Holstein wurde die elektronische Akte 2007 eingeführt.
Einigen Aufschluss über da, was dabei passiert gibt der
[[http://www.iww.de/quellenmaterial/id/82953|Einstellungsbeschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 21.2.2012, 6 Sa 573/10]]. Dort wird
ausführlich aus der eKA-Richtlinie für Schleswig-Holstein zitiert; als Zwecke werden genannt:

{{{#!blockquote
 * Erkenntnisse für die Bewertung und Abwehr von Gefahren bereitzuhalten,
 * Ermittlungen zur Aufklärung von Sachverhalten, insbesondere von Straftaten und die Feststellung von Verdächtigen zu unterstützen.
 * Informationen für die Gefahrerforschung zur Verfügung zu stellen,
 * Informationen zu Personen-, Tat- und Ereigniszusammenhängen bereitzuhalten,
 * Ermittlungsansätze für die Festnahme oder Ingewahrsamnahme gesuchter Personen zu liefern,
 * Hinweise für das taktische Vorgehen und Eigensicherung der Polizei vorzuhalten,
 * Personenidentifizierungen zu unterstützen,
 * Erkenntnisse bereit zu halten, die zur Fertigung einer negativen Sozialprognose herangezogen werden können (z. B. zur Durchführung eines DNA-Verfahrens).
}}}

Gespeichert werden demnach weiter auch "Betroffene von Maßnahmen der
Gefahrenabwehr"; als Prüffristen werden die üblichen 5/10 Jahre
angeboten. Leider ist zum konkreten Inhalt der eKA nichts zu erkennen.

Die BfDI berichtet in ihrem <<Doclink(2015-bfdi-tb.pdf,25. TB (2015))>> (S. 89), das BKA führe 1 Million seiner Kriminalakten elektronisch (von insgesamt 3.6 Mio).

== Juristisches ==

Das VG Aachen hat im Urteil
[[http://openjur.de/u/141984.html|6 K 1979/08 vom 15.6.2009]]
viel über "suchbare Speicherung" von "Kriminalakten" geschrieben. Dem
Kontext nach bleibt zweifelhaft, ob damit in der Tat eine wirklich eKA
gemeint war oder nicht vielmehr auf "tote" Dokumente verweisende
Einträge im NRW-Nachweissystem.
#REDIRECT elektronische Kriminalakte