Revision 8 vom 2004-12-13 20:23:42

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Polizeiliche Datenbanken auf Europäischer Ebene

Ein etwas älterer Artikel zu den Hintergründen findet sich in der Zeitung der Roten Hilfe: http://www.rote-hilfe.de/rhz/rhz199703/rhz397001.html

Rechtslage

Da die EU im Groben ein Laden der Regierungen ist, darf hier mit nicht allzu viel parlamentarischer oder unabhängiger Kontrolle gerechnet werden. Dazu kommt, dass (wenigstens uns) nicht klar ist, welches Datenschutzrecht für die jeweiligen Systeme einschlägig ist. Die [http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2002/l_201/l_20120020731de00370047.pdf EU-Datenschutzrichtline] sollte eigentlich überall in nationales Recht umgesetzt werden und wird also irgendwann auch für diese Datenbanken relevant. Immerhin sagt

[http://www.europarl.eu.int/comparl/libe/elsj/zoom_in/25_en.htm Das EU-Parlament gibt offen zu], dass z.B. SIS gegenwärtig keine Rechtsgrundlage hat ("the system temporarily rests on the provisions of the third pillar by virtue of a protocol to the Amsterdam Treaty").

Insbesondere ist häufig unklar, ob sich der für Datenschutz zuständige Kommissar (Art. 23 der Europol-Konvention) für Auskunftsersuchen (Art. 19 der Europol-Konvention) für für eventuelle Beschwerden zuständig fühlen sollte -- im Sirene-Manual wird dagegen explizit auf entsprechende Einrichtungen der Länder verwiesen.

Zur Überwachung der Verwendung des SIS existiert ein JSB (Joint Supervisory Body), in dem je zwei VertreterInnen der nationalen Datenschutzbehörden der Mitgliedsstaaten sitzen.

SIS

(Schengener Informationssystem; seit 1995): größtes polizeiliches (wird aber auch nachrichtendienstlich genutzt) IT-System in Europa. Ende 2001 speicherte es knapp 11 Millionen Falldaten. Zwischen 80 und 90% der Daten kamen Ende der 90er Jahre aus Migrationsfällen (also Abschiebungen etc; "Artikel 96"-Daten)

Die Daten kommen aus nationalen Datenbanken (im Fall der BRD ist das höchstwarhscheinlich ["InpolFragen" INPOL]), die Staaten entscheiden, welche Daten EU-weit verfügbar sind. Frage: Politik des BKA dabei?

Zusammenführung der Daten bei C-SIS in Straßburg -- die Daten werden dabei offenbar zur Gänze übertragen, so dass sie danach sowohl in Straßburg als auch in den nationalen Datenbanken vorliegen.

Bisher: Fahndungsdaten über Personen und Gegenstände, Daten ziemlich begrent und standardisiert, "Kontrolle" durch gemeinsame Kommission aus Datenschutzbehörden der Länder. Auf spanische Initiative (2002, also lang vor ihren Anschlägen) soll das Teil jetzt auch zur [http://www2.europarl.eu.int/omk/sipade2?PUBREF=-//EP//TEXT%2BREPORT%2BA5-2002-0436%2B0%2BDOC%2BXML%2BV0//EN&L=EN&LEVEL=1&NAV=S&LSTDOC=Y Terrorbekämpfung] gut sein.

Reizvoll: Bisher sollen weder Ethnie, besondere Kennzeichen, politische Überzeugungen, Gesundheitsprobleme oder sexuelle Orientierung gespeichert werden. Auf der anderen Seite werden Überwachungsprotokolle durchaus gespeichert, wenn auch derzeit nur für maximal ein Jahr.

Zweckbestimmung aus dem Vertrag von 1985: "Sicherheit" soll nach Abschaffung der Grenzkontrollen nicht geringer sein als vorher, also: Schutz der Grenzen und Kontrolle von Personenbewegungen. Dementsprechend wird an den Schengen-Außengrenzen für alle einreisenden BürgerInnen von Drittstaaten eine SIS-Abfrage durchgeführt. Ausgeschriebenen Personen wird die Einreise verweigert.

Die Kontakt zu den nationalen Behörden obliegt offenbar den Sirene-Büros. Ob das technische Auswirkungen hat, ist nicht klar, denn offenbar speichern lokale Behörden frei in SIS (und Abfragen werden auch direkt abgewickelt).

Speicherfristen in SIS: 3 Jahre für Migrationsgeschichten ("Artikel 96"), 1 Jahr für Überwachungsgeschichten ("Artikel 99") -- diese werden in SIS II massiv ausgeweitet werden. Dabei sind allerdings mehr oder weniger automatische Verlängerungen möglich ("Überprüfung nach drei Jahren"), so dass bei Abschiebungen wegen kriminellen Verhaltens de facto mindestens sechs Jahre gespeichert wird. [http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/tb/2004/tb-2.htm#t2_1_2 Der LfD BaWue berichtet] 2004, dass AusländerInnen- und Polizeibehörden aus Baden-Württemberg versuchen, mit Tricks faktisch unendliche Speicherfristen zu erzeugen.

2006 neuer Computer für 157 ME, für biometrische Daten konzipiert (siehe SIS II). http://archiv.vol.at/tmh/zr/national/newswelt/APS_News_Welt-149317.shtm

SIS II

Für 2006 geplante Erweiterung von SIS: zusätzliche Identifikationsdaten sollen verwendet werden: Fotografien, Fingerabdrücke und "möglicherweise andere Materialien" (DNA-Profile), biometrische Daten. Personen sollen mit "Aufklärungskennzeichen" versehen werden, wenn sie im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, oder eine "psychologische Gefahr" darstellen oder bestimmte Gegenstände "besitzen, mit sich führen oder gebrauchen". Daten unterschiedlicher Personen und Objekte sollen miteinander verknüpft werden, um eine Überwachung für eine bestimmte Gruppe zu initiieren.

Jede SIS-Suche soll dokumentiert werden.

SIS II-Daten sollen künftig auch Europol und Eurojust zur Verfügung stehen. Europol soll Daten hinzufügen, abändern oder löschen können. Die StaatsanwältInnen von Eurojust werden über SIS II Zugriff auf den Europäischen Haftbefehl erhalten, der dort gespeichert ist und der an die Polizei entweder über ein Sirene-Büro oder Interpol übermittelt werden soll. Behörden, die für AsylbewerberInnen zuständig sind, sowie Einwohnemelderämter, die für die Ausgabe von Identitätsausweisen zuständig sind, sollen auf SIS II zugreifen können, außerdem Kraftfahrzeugämter und Kreditanstalten im Zuge der grenzüberschreitenden Betrugsbekämpfung. Auch Inlandgeheimdiensten soll der Zugriff zur geplanten ?Terroristen-Datenbank? möglich sein.

Netzwerke: Sirene - SISNET

Über das Sirene-System (Sirene - Supplément d'Information Requis a l'Entrée Nationale - Supplementary Information Request at the National Entry) konnte die Polizei länderübergreifend über bestimmte Personen Ergänzungsinformationen zu SIS-Daten beziehungsweise "weiche Daten" anfordern. Galt als wesentlich effizienter als das Interpol-System.

SISNET ist ein abgeschottetes Netz, dass die Sirene-Büros in den Mitgliedsstaaten verbindet.

Europol/TECS

Hier wird offenbar ein über die derzeit in SIS verfügbaren Daten zusätzlicher Datenaustausch betrieben. Zu datenschutzrechtlichen Aspekten siehe http://europoljsb.ue.eu.int/.

http://www.infolinks.de/cilip/ausgabe/61/tecs.htm -- The Europol Computer Systems, DB des Europäischen Polizeiamts ("Dritte Säule der EU") -- 1 Million Records geplant. SIS ist demgegenüber vor allem "erste Säule", d.h. auf den "Schutz der Außengrenzen", Migration und Zivilrecht angelegt. De facto scheint SIS aber durchaus auch Daten von straffälligen EU-InländerInnen zu enthalten (und es [http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/g4000s.htm ist umstritten], ob es nicht auch dritte Säule sein kann).

Zwei "Pfeiler"

  1. "Informationssystem", Registerdatenbank über Verurteilte, Verdächtige und potentiell verdächtige Personen
  2. "Analysesystem", zusätzlich Opfer, Kontaktpersonen, ZeugInnen, "andere Personen", Daten über Gesundheit, Sexualität u.a. erlaubt. Unmittelbarer Zugang hier nur durch Europol und ausgesuchte "ExpertInnen".

Jede Person hat das Recht, die jeweilige nationale Kontrollinstanz zu ersuchen, die Zulässigkeit der Eingabe und Übermittlung von sie betreffenden Daten an EUROPOL sowie des Abrufs dieser Daten durch den jeweiligen Mitgliedstaat zu überprüfen.

EURODAC

1999 offenbar zwischendurch eingefrorener Plan zur Erfassung von Fingerabdrücken von MigrantInnen, http://www.infolinks.de/cilip/ausgabe/62/europa62.htm, scheints jetzt aber [http://europa.eu.int/scadplus/leg/en/lvb/l33081.htm doch zu geben]. Lebensdauer der Daten 10 Jahre oder bis zur Einbürgerung. [http://www.bfd.bund.de/information/tb19/node49.html#SECTION00911000000000000000 Wer kontrolliert Eurodac?]

[http://www.heise.de/newsticker/meldung/33690/ Läuft seit Januar 2003] und enthält Fingerabdrücke von allen AsylberwerberInnen über 14 Jahren in den EU-Staaten (bis auf Dänemark und Norwegen).

EUCARIS

European Car Information System -- Europaweites KFZ-Register. Funktionsfähigkeit unbekannt.

IRENE

Datenbank von OLAF, offenbar vor allem gegen Wirtschaftskriminalität gerichtet.

Enfopol

Zur Zusammenarbeit der Innen- und Justizministerien geschaffen, außerhalb der parlametarischen Kontrolle. Eines der Ziele ist es, die Möglichkeit zur permanenten Überwachung des gesamten Telefon- und Datenverkehrs zu haben und die Verschlüsselung von Firmen- und Privatdaten in Computernetzen zu unterbinden, um sie überhaupt abhören zu können.

RISER

[https://riser.psi.de/ Registry Information Service on European Residents] ist als europaweites Melderegister angelegt, an dem im Augenblick offenbar nur Österreich und die BRD teilnehmen, das aber im Verlauf von 2005 immer mehr EU-Staaten umfassen und im August 2005 in den Regelbetrieb gehen soll. Geld kommt vom EU-Projekt [http://www.bit.ac.at/eten/index.htm eTen], das "Verwaltungsleistungen" ins Netz bringen möchte. Dementsprechend werden Versandhändler und Inkassounternehmen als Hauptzielgruppe erwähnt; die Daten sollen verkauft werden.

http://futurezone.orf.at/futurezone.orf?read=detail&id=254482&tmp=91791

http://www.heise.de/newsticker/meldung/52363

["Glossar"]