Revision 9 vom 2011-03-04 20:45:44

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Analysedateien (AWF)

AWFs (Analysis Work Files) sind Datenbanken bei Europol, die primär für die interne Analyse von einzelnen Fällen oder Phänomenen von EU-weiter Bedeutung sind.

Die AWFs oder Analysedateien waren von Anfang an stark umstritten, denn in ihnen kann Europol relativ unkontrolliert alles Mögliche speichern. Ein Analysedatei ist die jeweilige Datenbank einer Analysegruppe von Europol. Zu einer Analysegruppe gehören AnalytikerInnen und sonstige Beamte von Europol sowie die Verbindungsbeamten und/oder Sachverständige der Mitgliedstaaten an. Nur die AnalytikerInnen sind nach offizieller EU-Angabe befugt, Daten in eine Analysedatei einzugeben, aber alle anderen TeilnehmerInnen können aus ihr Daten abrufen. (siehe europa.eu)

Herkunft der Daten für die Analysedateien

Nach einem Bericht in der NRW-Polizei Zeitung Streife bekommen die AnalytikerInnen die Daten von den Verbindungsbeamten der Mitgliedsstaaten, welche widerum die Daten von den lokalen Spezialabteilungen für Organisierte Kriminalität ((OK)) und Staatsschutz der Polizeibehörden bekommen. Die Polizeibehörden, die den Analysegruppen Daten geliefert haben, bekommen das Analysergebnis von Europol mitgeteilt.

Erstellung der Analysedateien

Laut einem Bericht in der Zeitschrift die Kriminalisten werden als ersten Schritt vom Analyse-Team einen "Analysis Work File" festgelegt, was durch den Analysefall erreicht werden soll, welche Daten gesammelt, verarbeitet und analysiert werden sollen, um zum Erfolg zu kommen. Als Nächstes erstellt das Analyseteam die Errichtungsanordnung für die Datenbank. Dann werden die Daten gesammelt, was bis zu ein Jahr dauern kann. Erst dann werden die Daten (vermutlich mit Hilfe von Data Mining) ausgewertet.

Anzahl Analysedateien

Im Jahre 2007 gab es 16 Analysedateien (Analysis Work Files,AWF) und im Jahre 2008 18 Analysedateien. Die Analysedateien werden in unterschiedliche Bereiche, wie Drogenhandel, Mord (Verbrechen gegen das Leben) und Organisierte Kriminalität eingeteilt.

Bereich

2007

2004

2003

Drogenhandel

3

4

4

"Verbrechen gegen Personen"

3

3

3

Wirtschaftskriminalität

2

5

5

"Organisierte Kiminalität"

4

2

3

"Terrorismus"

2

2

2

Geldfälschung

2

2

2

Quellen: Die Zahlen für 2003 und 2004 kommen aus dem Europol Jahresbericht 2005, Die Daten von 2007 aus dem Jahresbericht von 2007

Personendaten in den AWFs

Nach offizielen EU-Angaben stehen folgende Personen in den AWFs

  • 1 Personen, die nach Maßgabe des nationalen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats einer Straftat oder der Beteiligung an einer Straftat, für die Europol zuständig ist, verdächtigt werden oder die wegen einer solchen Straftat verurteilt worden sind 1 Personen, nach Maßgabe des nationalen Rechts eines Mitgliedstaates verdächtigt werden, Straftaten zu planen, für die Europol zuständig ist 1 Personen, die bei Ermittlungen in Straftaten oder bei Strafverfolgungen als Zeugen in Betracht kommen 1 Personen, die Opfer einer Straftat waren oder Opfer einer Straftat werden können 1 Kontakt- und Begleitpersonen 1 Personen, die Informationen über die betreffenden Straftaten liefern können

Indexsystem

Für die in den AWFs gespeicherten Daten erstellt Europol ein Indexsystem. Der Direktor, die stellvertretenden Direktoren, die ordnungsgemäß ermächtigten Europol-Bediensteten und die Verbindungsbeamten dürfen auf das Indexsystem zugreifen.

Speicherfristen

Die Daten dürfen nicht länger als drei Jahre gespeichert werden. Europol prüft jährlich, ob für die Zwecke der betreffenden Datei eine weitere Speicherung erforderlich ist. Der Direktor von Europol kann gegebenenfalls beschließen, die Daten weitere drei Jahre lang zu speichern. Der JSB muss informiert werden, wenn ein Datum durch Zuspeicherungen länger als fünf Jahre in einem AWF liegt.

Anmerkung: Angesichts des quasi-ehrenamtlichen Charakters des JSB ist nicht vorstellbar, dass die entsprechende Fälle tatsächlich ansehen können.

Handling Codes für AWFs

Datensätze in den Analysedateien haben einen von den speichernden Staaten bestimmten Handling Code:

  • ohne Handling Code -- können die Daten an die Analysegruppe und an andere interessierten Mitglieder von Europol weitergereicht werden.
  • Bei Handling Code Stufe I -- Dürfen die Daten vor Gericht nur mit Zustimmung der speichernden Partei verwendet werden.
  • Bei Handling Code Stufe II -- Die Daten dürfen auch innerhalb der Mitgliedsstaaten von Europol nur mit Zustimmung der speichernden Partei weitergegeben werden.
  • Bei Handling Code III -- Hier legt die speichernde Stelle die Weitergabepraxis der Daten per Freitext fest.

Quelle: FAQ zu den Analysedateien (pdf)

Beispiele für Analysedateien

HYDRA

Hydra ist eine Analysdatei für weltweiten islamistischen Terrorismus.

DOLPHIN

Existiert seit 2003 und ist nach offizieller Aussage für nicht-islamistische Terrorismus zuständig. Nach der breiten Auslegung des Terrorismusbegriffs von Europol fallen darunter auch militante Tierschutz- und Umweltorganisationen. (siehe Euro Police Blog)

CHECKPOINT

CHECKPOINT soll offiziell Schlepperbanden bekämpfen. Im Ziel stehen dabei offenbar Organisationen wie eine "Pachtou", die angeblich Menschen aus Kurdisch-Irak und Afghanistan in die EU gebracht haben soll.

CYBORG

Die seit 2009 existierende Analysedatei Cyborg soll Organisierte Kriminalität im Netz verfolgen.

Weitere Analysedateien

Der EU Terrorism Situation and Trend Report TE-SAT von 2010 beschäftigt sich, neben Terrorismus, auch mit Rechten und Linken ExtremistInnen (right-wing extremism, left-wing extremism). Dabei wird z.B. erwähnt, dass die Anzahl abgebrannter Autos in der BRD stark angestiegen sei. Des weiteren wird ANTIFA im angehängten Glossar erklärt. Es kann daher auch sein, dass es zusätzlich zu DOLPHIN noch eine weitere Analysedateien für ExtremistInnen gibt, wobei die Definition von ExtremistInnen ein bischen eingeschränkter als die des VS zu sein scheint (nur Personen die Straftaten begehen).

EU Terrorism Situation and Trend Report TE-SAT

Errichtungsanordnungen

Für Analysedateien sind nach deutschem Vorbild Errichtungsanordnungen (opening orders) vorgesehen. Der JSB darf dazu "Stellungnahmen" abgeben. Diese Errichtungsanordnungen werden per Formular ausgehandelt. Dabei müssen nur "Racial origin", "Glaube", "Politische Ansichten" und "Sexual life or health" begründet werden, wenn sie gespeichert werden. So dass es bei den Analysedateien möglich ist sehr viel zu speichern. Die Errichtungsanordnungen werden vom Verwaltungsrat oder genehmigt oder bei "Dringlichkeit" direkt vom Direktor von Europol. Zusätzlich zu den Errichtungsanordnungen gibt es jeweils zwei "Arbeitsdokumente", die beschreiben, was das alles bedeutet (Project Plan) und woher die Daten kommen sollen (Data Collection Plan).

Ein Beispiel vor für eine Errichtungsanordnung ist in FAQ von Europol zu den AWFs angegeben:

FAQ zu den Analysedateien (pdf)

Kritik vom ULD

Der ULD kritisiert, dass die Europol-Konvention zwar flankierend zu den Datenspeicherungs- und -analysebefugnissen Errichtungsanordnungen vorsieht. Diese seien aber keine ernsthaften Hürden. Denn da Europol materiell-rechtlich alle Informationen über jede Person sammeln und auswerten darf, sei die Errichtungsanordnung kaum noch eine ernsthafte Kontrolle.

Technische Umsetzung

Technisch sind die AWFs durch ein Programm namens iBase von rola Security Solutions (vgl. Hersteller) realisiert.

Innerhalb von Europol heißt das Programm, welches die AWFs ermöglicht. OASIS, "Overall Analysis System for Intelligence and Support". Dieses war nach Aussagen von Europol im Jahre 2007 voll einsatzfähig. Laut Berichten von Europol ist OASIS ein System, welches verschiedene Software-Anwendungen ermöglicht. Insbesondere auch Text- und Data Mining.

Austausch mit Drittstaaten

Der 37. TB LfD Hessen, 2.1.2.3 (2008) erwähnt Verträge nach dem Dänischen Protokoll, das den Zugriff von Drittstaaten auf Analysedateien erlaubt, und zwar mit Australien, Kroatien, USA, Schweiz, Interpol. Im Zuge der Prüfungen kam heraus, dass schon etliche Verträge dieser Art geschlossen waren, ohne dass der JSB informiert worden wäre.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass im Rahmen der Verfahren nach dem dänischen Protokoll Europol Datenschutzberichte zu Drittstaaten erstellt ("Bock zum Gärtner-Prinzip"). Der LfDI Hessen erwähnt hier Russland und Israel als Fälle mit Nachbesserungsbedarf (siehe 37. TB LfDI Hessen 2008).

Weitere Infos zu AWFs

TODO: AWFs sollen zusammengelegt werden: http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st06/st06049.en11.pdf