Revision 37 vom 2011-08-24 09:30:05

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Verfahren nach §129a

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist der Begriff, unter dem der im Strafgesetzbuch (StGB) dargelegte Straftatbestand „Bildung terroristischer Vereinigungen“ allgemein bekannt ist. Der Straftatbestand wurde 1976 im Zuge der Bekämpfung des Terrorismus in das StGB aufgenommen und führte den Begriff „Terroristische Vereinigung“ als Rechtsbegriff ein. § 129a StGB ist Bestandteil eines als Lex RAF bezeichneten Gesetzesbündels, das mit besonderem Bezug auf die Rote Armee Fraktion (RAF) erlassen wurde

Rechtsgrundlagen

§129a StGB

Der §129a StGB ist der Terrorismusparagraph, er bestraft auch Personen, welche eine terroristische Vereinigung unterstützen.

§129b StGB

Auf Grund der Anschläge auf das World Trade Center wurde der §129 umd den §129b StGB erweitert, für Personen die in einem anderen Land terroristische Aktivitäten unterstützen. Der Paragraph ist noch umstrittener als der 129a, weil sich die Justiz hierzulande auf Aussagen von ausländischen Sicherheitsorganen verlassen muss. D.h. viele der Erkenntnisse könnten auch unter Folter erlangt worden sein. Der §129b bezieht sich auf die Unterstützung von Vereinigungen die nur Straftaten im Ausland und nicht in der BRD begehen. Ob eine Vereinigung unter den Paragraphen 129b fällt, wird vom Bundesjustizministerium entschieden. Es ensteht so eine Aufweichung der Gewaltenteilung. Des weiteren ist es problematisch, dass je nach politischer Wetterlage eine Vereinigung als Befreiungsbewegung oder als terroristische Organisation wahrgenommen wird.

§129 StGB

Wenn der §129a nicht geht, wird der §129 (kriminelle Vereinigung) genommen, welcher immer noch recht breite Ausforschungsmöglichkeiten bietet. Bei einem Ermittlungsverfahren nach §129 ist nicht die Generalstaatsanwaltschaft, sondern die lokale Staatsanwaltschaft beim Landgericht zuständig.

Der Paragraph als Ausforschungsmittel

Weniger als drei Prozent der Ermittlungsverfahren, die in den 1990er Jahren auf Grund des § 129a eingeleitet wurden, endeten mit einem gerichtlichen Urteil. Die eingestellten restlichen 97 Prozent waren für den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der § 129a eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen mittels Überwachungstechnik auch ohne wikliche Anhaltspunkte. Die gesammelten Daten verbleiben dann nach der Einstellung des Verfahrens in der Regel in INPOL und auf jedenfall in NADIS. Viele der ehemaligen Verdächtigen der eingestellten Verfahren sind dann auch beim nächsten 129a-Verfahren wieder mit dabei. So geschehen bei einigen Beschuldigten des Hakenkrallen-Verfahrens, die beim Autonome Gruppen-Verfahren dann wieder beschuldigt wurden.

Skandal-Verfahren

Hakenkrallen Verfahren

Wegen Hakenkralle gegen den Zugverkehr wurde in den 90-zigern gegen mehrere bekannte Anti-AKW Aktivist_innen ein 129a-Verfahren eingeleitet, welches dann bald eingestellt wurde.

Autonome Gruppen

Kurz vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm wurden etliche Hausdurchsuchungen in Berlin, Bremen und in Hamburg wegen einer angeblichen terroristischen Vereinigung Autonomen Gruppe gegen den G8-Gipfel von Bundesanwaltschaft durchgeführt. Dafür bekam die Bundesanwältin 2007 einen Big Brother Award. Das Verfahren wurde im Herbst 2008 eingestellt.

mg-Verfahren

Anfang des Jahrtausend tauchten zum erstenmal Bekennerschreiben der mg (militanten gruppe) nach Brandanschlägen in Berlin auf. Daraufhin wurden etliche 129a-Verfahren gegen die unterschiedlichsten Personen ohne wirkliche Anhaltspunkte aus Berlin eingeleitet. Im Nachhinein wurden die meisten Verfahren vom BGH als rechtswidrig beanstandet.

Drei Personen wurden vom Berliner Kammergericht im Oktober 2009 der Mitgliedschaft der mg zu drei und drei einhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie 2007 in der Nähe waren, wo jemand versucht hatte ein Bundeswehrfahrzeug anzuzünden. Die Revision wurde im Mai 2011 vom BGH abgelehnt (vgl. Einstellungsbündniss).

Der Soziologe Andrej Holm wurde zusammen mit den drei anderen Personen verhaftet, weil ihm unterstellt wurde der intellektuelle Kopf zu sein, da in den Bekennerschreiben Worte auftauchten, die er häufig in wissenschaftlichen Artikeln verwendete. Das Verfahren gegen Andrej Holm wurde im Sommer 2010 einstellt.

§278-Verfahren gegen Tierrechtler in Felix Austria

Auf Östreichisch heißt der 129a-Paragraph, §278a. Etliche Tierechtsaktivisten sind deswegen seit 2008 angeklagt. Dabei war auch eine verdeckte Ermittlerin im Einsatz, die mit einem der Hauptangeklagten eine Beziehung hatte. Beweise gab es aber trotz dieser weitgehenden Ausforschung nicht. Die Angeklagten wurden im Mai 2011 freigesprochen, die Staatsanwaltschaft hat allerdings Revision angekündigt.

Terrorismusverfahren wegen Unistreik in Österreich

Im Sommer 2010 wurden vier KunststudentInnen in Österreich wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung nach §278 verhaftet. Zur Last geworfen wurde ihnen, dass sie angeblich die Redelsführer beim Unistreik gewesen seien und Mülltonnen vor einem Arbeitsamt angezündet hätten. Da das nicht tragbar war wurden sie nach 7 Wochen wieder auf freien Fuß gesetzt, es wird aber weiterehin jetzt nach §277 ("verbrecherischem Komplott") ermittelt. Auch bei der liberalen Öffentlichkeit hat dieses zum Umdenken über Polizeibefugnissen geführt. So entdeckte auch Peter Sloterdjik seine kritische Ader wieder. Im Februar 2011 wurde gegen die Vier ein neuer Verdacht gefunden, da die PolizistInnen während der Hausdurchsuchung ein Video einer Abschiebung gefunden hatte. Denn das Video der Abschiebung wird von den Ermittlern durchgehend als „Observation“ bezeichnet, die vermuten lasse, dass die Beschuldigten offensichtlich Verhinderungen von Abschiebungen, möglicherweise aber auch Häftlingsbefreiungen planen würden.

§129b-Verfahren gegen Kurdische Kommunisten

Mitglieder der Kurdischen DHKP-C wurden im Dezember 2010 nach 129b in Düsseldorf zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.

Tarnac 9

Im November 2008 werden etliche MitgliederInnen einer Kommune in Frankreich, wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Der Grund für die Verhaftung waren mehrere Sabotageakte am Schienennetz und weil der Staatsschutz vermutet, dass die AutorInnen von "Der kommende Aufstand" aus Tarnac stammen. Nach mehreren Monaten Gefängnis wurde dann auch der vermeintlich Hauptverdächtige freigelassen, da es keine Beweise gab.

§ 129 Verfahren gegen Antifas

Die Staatsanwaltschaft Sachsen hat am 19 Februar 2011 eine Hausdurchsuchung im Bündnisbüro Dresden Nazufrei angeordnet, wegen eines §129 Verfahrens. Der Grund für das §129 Verfahren soll eine angeblich bundesweit vernetzte Antifa-Sportgruppe sein, die koordiniert Nazis verprügelt. Im Zuge dessen wurden auch Massen-Funkzellenauswertung während der Gegenproteste zum Naziaufmarsch am 19.02 durchgeführt. Am 12. April und 02. Mai 2011 kam es dann in Brandenburg, Sachsen und besonders in Dresden zu weiteren Hausdurchsuchungen gegen Linke aus verschiedenen politischen Zusammenhängen. Der Skandalhöhepunkt war dann die Hausdurchsuchung am 10.08.2011 bei einem ehemaligen Dissidenten-Pfarrer und jetzigen Pfarrer der Jugendgemeinde Jena ohne das Inneministerium in Thüringen zu verständigen.